offener Brief an den Bundesrat
Am 23. Juni 2016 hat der Bundestag das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende beschlossen.
Der Bundesrat forderte 2016 im Gesetzgebungsverfahren zur Digitalisierung der Energiewende ein Widerspruchsrecht gegen digitale Stromzähler. Er forderte, dem privaten Letztverbraucher ein Mitspracherecht beim Einbau intelligenter Messsysteme oder der Einbindung in ein Kommunikationsnetz einzuräumen.
Leider hat der Bundesrat dem Gesetz gegen seine erklärte eigene Überzeugung vor drei Jahren zugestimmt. Deshalb hat der Bundesrat am 08.07.2016 einen Beschluss zum Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) veröffentlicht (s.Bundesrat Drucksache 349/16 (Beschluss) 08.07.2016
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2016/0301-0400/349-16%28B%29.pdf?__blob=publicationFile&v=1
Darin heißt es u.a. „Der Bundesrat hält es zudem für erforderlich, die gesetzlichen Vorgaben in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.“
Der nachfolgende offene Brief an den Bundesrat mit einer Reihe bemerkenswerter Unterzeichner knüpft an diesen Beschluss an und fordert eine Revision des MSbG.
Lesen Sie hier:
offener Brief an den Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland (Inhaltliche Wiedergabe)
offener Brief an den Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland (PDF)
Prof. Dr. jur. Hans-Jürgen Müggenborg
Schloss-Rahe-Straße 15
52072 Aachen
An den Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland
Herrn Bundesratspräsidenten Ministerpräsident Daniel Günther
11055 Berlin
16. Juli 2019
Offener Brief:
Bitte um Anstoß einer Änderung des Messstellenbetriebsgesetzes gemäß der Entschließung des Bundesrates vom 8. Juli 2016 (Drucksache 349/16)
Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
sehr geehrte Damen und Herren im Bundesrat!
Am 23. Juni 2016 hat der Bundestag das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende beschlossen. Und der Bundesrat hat am 8. Juli vor drei Jahren zugestimmt, aber zum Messstellenbetriebsgesetz darin eine Entschließung beigefügt (s. Drucksache 349/16 Beschluss, B). Dort heißt es unter anderem: „Der Bundesrat unterstreicht insbesondere seine Forderung, mit dem vorliegenden Gesetz dem privaten Letztverbraucher ein Mitspracherecht beim Einbau intelligenter Messsysteme oder der Einbindung in ein Kommunikationsnetz einzuräumen. … Aus den vorgenannten Gründen hält der Bundesrat es für erforderlich, dass der Einbau von intelligenten Messsystemen bei privaten Letztverbrauchern unter 6000 Kilowattstunden pro Jahr von der Zustimmung der Verbraucherinnen und Verbraucher abhängig gemacht wird. Privaten Endverbrauchern mit einem Verbrauch über 6000 Kilowattstunden pro Jahr sollte bezüglich des Einbaus der Geräte ein Widerspruchsrecht eingeräumt werden. Unabhängig von der individuellen Verbrauchshöhe sollten private Letztverbraucher in jedem Fall ein Widerspruchsrecht gegen die Einbindung eines Messsystems in ein Kommunikationsnetz erhalten.“ An diese Forderungen Ihres Hauses möchten wir heute – nach genau drei Jahren – in aller Form erinnern, zumal es in der Entschließung am Schluss heißt: „Der Bundesrat hält es zudem für erforderlich, die gesetzlichen Vorgaben in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.“
Digitales Stromzählen wird nach derzeit gültigem Gesetz ab 2020 im Grunde verpflichtend gemacht, insofern niemand mehr den Einbau/Umbau ablehnen kann: Der Gesetzestext weist die Freiheit der Entscheidung über einen Einbau von intelligenten Messsystemen einseitig der Firma, nicht dem Wohnungsinhaber zu. Schon aus datenschutzrechtlichen Gründen sollte aber in Verbindung mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 1 Abs. 1 GG die Wahl für einen analogen Zähler weiterhin bestehen bleiben. Der Bundesrat hatte bereits in der Sitzung vom 18. Dezember 2015 die Regierungspläne aus Datenschutzgründen deutlich kritisiert. Als er dann am 8. Juli 2016 dem Gesetz insgesamt zustimmte, tat er das nicht ohne besagte zusätzliche Entschließung. Im Vorfeld hatte auch die Bundesnetzagentur kritisch zum genannten Punkt Stellung genommen und unterstrichen, die Einbindung des Verbrauchers als Energiemarktteilnehmer erfordere auch dessen Willen bzw. Zustimmung; nicht mit Zwang, sondern mit Anreizen solle gearbeitet werden. Eine Kosten-Nutzen-Analyse der Bundesnetzagentur schlug vor, es beim Wettbewerb zu belassen und auf die Gesamtheit der Messstellen erst zum Jahr 2030 abzuzielen. Und noch Anfang Juli 2016, sozusagen im letzten Moment, hatte der Umweltausschuss des Bundesrates der Länderkammer eine kritische Haltung hinsichtlich der Stromzähler-Regelungen empfohlen. Die ins Auge gefassten Regelungen seien als unverhältnismäßig einzustufen; das Gesetz lasse berechtigte Verbraucher- und Datenschutzbedürfnisse der Bevölkerung unberücksichtigt. Deshalb sollten private Letztverbraucher unabhängig von der Verbrauchshöhe in jedem Fall ein Widerspruchs gegen die Einbindung eines Messsystems in ein Kommunikationsnetz erhalten.
Auf diesem Hintergrund also kam es zu der beigefügten „Entschließung“ im Zuge der damaligen Zustimmung Ihres Hauses zum Gesetz. In diesem kritisch abgefassten Text wurde ausdrücklich auf daten- und verbraucherschutzrechtliche Bedenken des Bundesrates hingewiesen. Gewarnt wurde zudem vor unverhältnismäßigen Kosten für Verbraucher, Erzeuger sowie Messstellen- bzw. Netzbetreiber; verlangt wurde ein Mitspracherecht für die Verbraucher beim Einbau der Geräte und bei der Einbindung in Kommunikationsnetze.
Freilich war die damals laut gewordene Forderung des Bundesrats, die Entrechtung der Verbraucher zu korrigieren, rechtlich nicht verbindlich. Und seither ist man nicht mehr auf sie zurückgekommen. Deshalb unser heutiger Brief – denn die geäußerten Bedenken haben ja weiterhin ihre guten Gründe, und eine Überprüfung macht nach drei Jahren Sinn. Aktuell betonte etwa der Geschäftsführer der Stadtwerke Ettlingen, Eberhard Oehler, zu Smart Metern in der ZDF-Sendung planet e am 11. Juni 2019: „Mit den Gateways in Verbindung mit den elektronischen Zählern werden wir durchsichtig. Und darin sehe ich eine große Gefahr, dass wir am Ende des Tages die letzte Privatsphäre, die letzte Intimität verlieren, und da kann ich nur sagen: George Orwell ist Kindergarten dagegen!“
Zu diesen Bedenken gesellen sich vor allem seit 2018 noch argumentativ verstärkte gesundheitliche Argumente hinsichtlich der vielfach angewandten Funklösung. Durch neuere Forschungsergebnisse im Mainstream der Wissenschaft – namentlich durch die Ergebnisse der umfangreichen Studie des regierungsamtlichen National Toxicology Program (NTP) in den USA, der größten Studie ihrer Art weltweit, sowie durch eine italienische Studie des Ramazzini-Instituts (die Einwände gegen ihre Ergebnisse inzwischen widerlegt haben!) – hat sich der Verdacht erhärtet, dass Mobilfunk Krebs erregen kann. Auch wenn es insgesamt unterschiedliche Meinungen und Deutungen zu dieser Frage in der internationalen Wissenschaft gibt (wie auf vielen anderen Forschungsgebieten auch), lässt sich doch nicht vom Gesetzgeber vorschreiben, welchen wissenschaftlichen Resultaten und Einstellungen sich die Verbraucher anzuschließen hätten. Das heißt, ihr Recht auf Vorsorge muss die Möglichkeit einschließen, häufiger funkenden Technologien im eigenen Haushalt zu widersprechen. Und das sollte ebenso für PLC-Modelle gelten, denn auch da gibt es begründete E-Smog-Bedenken (z.B. liegen laut der Österreichischen Ärztekammer für Frequenzen im Kilohertzbereich, wie sie bei PLC-Anbindung vom Trafo zum Smart-Meter auftreten, Daten aus den USA vor, die auf ein erhöhtes Krebsrisiko hindeuten). Alternative Datenübertragungstechniken können per Ethernet-LAN, Festnetz-DSL bzw. Glasfaserkabel (ohne WLAN oder dLAN am Übergangspunkt!) funktionieren; darüber hinaus sollte an die Verwendung der Lifi-Technologie in modernen Messsystemen anstelle von Funk gedacht werden. Zweifelhaft bleibt im Übrigen aber auch dann, ob solche Datenübertragungen Grundrechte verletzen, insofern sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen: Moderne Messeinrichtungen erheben im Standard 15-minütig den Verbrauch; alle Daten können jahrelang gespeichert und elektrisch ausgelesen werden!
Hinzu kommt hier die ethisch fällige Rücksicht auf die Menschen mit attestierter Elektrohypersensibilität (dazu das Buch der Ärztinnen Christine Aschermann und Cornelia Waldmann-Selsam: Elektrosensibel. Strahlenflüchtlinge in einer funkvernetzten Gesellschaft, Aachen 2017, sowie die SWR2-Sendung „Elektrosmog und Elektrosensibilität“ vom 2. 7. 2019: https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/elektrosmog/-/id=660374/did=24137276/nid=660374/rpk0vu/). Von allen Umweltorganisationen und vielen Medizinern werden Elektrohypersensible ernst genommen und nicht als Hypochonder abgetan; in einigen Fällen wurden für sie schon Rentenanerkennungen erreicht. Diese betroffene Minderheit hätte unter funkenden Geräten (namentlich in Mehrfamilienhäusern) zu leiden – umso mehr, als sie oft schon in ihre Keller zum Schlafen geflohen sind, weil dort bisher die niedrigste Strahlung herrschte; just dieser Schutzraum würde ihnen auch noch genommen! Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann räumt in einem Brief an die Weiße Zone Rhön e. V. hinsichtlich Funkwasserzählern ein: Ein „besonderer persönlicher Grund für einen Widerspruch kann auch in einer glaubhaft gemachten besonderen Sensibilität gegen elektromagnetische Strahlung bestehen.“ Solch einen Widerspruch einzuräumen, wurde im Messstellenbetriebsgesetz (das immerhin die freie Wahl des Messstellenbetreibers, dabei aber nicht ein wirklich alternatives Technologieangebot garantiert) in seiner jetzigen Form versäumt.
Kurz und gut: Es gibt etliche Gründe dafür, dass Verbraucherinnen und Verbraucher gemäß Art. 13 GG in ihrer eigenen Wohnung die Freiheit haben sollten, dem Einbau einer „modernen Messeinrichtung“ bzw. eines „intelligenten Messsystems“ zu widersprechen. Zu diesen Gründen zählen neben Datenschutz- und Hackergefahren auch Kostengründe und Strahlenschutzbedenken. Deshalb appellieren wir an Sie und Ihr Haus unter Rückbezug auf die genannte Entschließung des Bundesrats vom 8. Juli 2016 im Interesse der Wahrung bürgerlicher Freiheit auch im Zeitalter der Digitalisierung, eine entsprechende Gesetzesänderung anzustoßen – zu Gunsten eines Mitsprache-, ja Widerspruchsrechts für die Verbraucher.
In Hoffnung auf Ihre baldige Initiative verbleiben wir
mit vorzüglicher Hochachtung
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