Aktuelles Urteil zur Anerkennung von EHS
Dieser Fall zeigt, mit welcher langfristigen Energie Betroffene ausgestattet sein müssen, um Ihre Ansprüche geltend zu machen. Über viele Jahre hat sich der Rechtsstreit eines Radartechnikers der Bundeswehr hingezogen und nun hat das Bundesverwaltungsgericht die Revision der Beklagten (Bundeswehr) abschließend zurückgewiesen.
Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht vom 13.9.2012, 3 LB 21/11 (rechtskräftig durch Zurückweisung der dagegen eingelegten Revision durch das Bundesverwaltungsgericht vom 10.4.2014)
Zum Sachverhalt:
Von 1970 bis 1985 war der Kläger als RADAR-Mechanikermeister bei der Bundeswehr eingesetzt. Seine Aufgabe umfasste die Durchführung von Reparaturen und periodischen Instandsetzungsarbeiten an Radarsystemen. Von 1986 bis 1992 befand sich der Arbeitsplatz des Klägers in einem Bunker der Radargerätewerkstatt unmittelbar über dem Verteilerkasten.
Seit 1973 litt der Kläger unter Entzündungen, Infektionskrankheiten und Herzrhythmusstörungen. Ab 1976 entstanden zunehmende Unruhezustände, Schlafstörungen, Müdigkeit, zunehmende Herzrhythmusstörungen, extreme Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen, Parästhesien, starke Kopfschmerzen, Immunschwäche, Lebensmittelallergien und sonstige allergische Symptome, Augenprobleme, zeitweiliges starkes Schwitzen, starke Erschöpfungszustände, auffällig reduzierter Allgemeinzustand die bis Mitte der 90er Jahre anhielten.
Der Kläger legte verschiedene Entlassungsberichte von Kliniken vor, dass er Intoleranzen gegenüber elektromagnetischen Feldern entwickelt habe, bzw. an elektrischer Hypersensitivität leide.
Am 26. Mai 1993 zeigte der Kläger erstmals seine Erkrankung als Dienstunfall bei der Beklagten – der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Wehrbereichsverwaltung Nord - an. Mit Ablauf des Jahres 1994 wurde der Kläger wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Anerkennung der Erkrankung als Dienstunfall ab.
Mit der Klage will der Kläger die Anerkennung seiner EHS als Dienstunfall i . S. von § 31 Abs. 3 BeamtVG i. V. § 1 der dazu ergangenen Durchführungsverordnung und Ziffer 2402 der entsprechenden Anlage 1 (Erkrankung durch ionisierende Strahlung) erreichen.
Krankheiten nach § 31 Abs. 3 BeamtVG sind nur die in der Durchführungsverordnung genannten. Was nicht drinsteht, gibt es als Dienstunfall i . S. von § 31 Abs. 3 BeamtVG nicht. EHS ist nicht aufgeführt, aber eben die Ziffer 2402 (Erkrankung durch ionisierende Strahlen).
Dass der Beklage an einer EHS erkrankt ist, wird von der Beklagten Wesentlichen gar nicht bestritten.
Gestritten wird vielmehr um die Frage, in welchem Ausmaß die Exposition durch ionisierende Strahlung kausal für die Erkrankung des Klägers war. Das
Oberverwaltungsgericht hat insgesamt drei Sachverständigengutachten eingeholt, nachdem bereits mehrere von den Parteien beigebrachte Stellungnahmen gewürdigt worden waren bzw. mündlichen Verhandlungen dazu durchgeführt wurden. Nach Überzeugung des OVG war der Kläger von 1970 bis
1993 durch seine berufliche Tätigkeit ionisierender Strahlung ausgesetzt,
und zwar gegen bestehende Sicherheitsvorschriften. Ob der Kläger darüber
hinaus nichtionisierender Strahlung oberhalb des entsprechenden Grenzwerts
ausgesetzt war, hat das Gericht offen gelassen.
Wesentliche Erwägungen des Gerichts:
Das OVG hat seine erste Entscheidung, die Bundeswehr müsse die Erkrankung vom 20.8.2008 (Aktenzeichen 3 LB 59/01) als Dienstunfall anerkennen, im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Exposition des Klägers aus Gründen, für die die Bundeswehr verantwortlich ist, nicht mehr aufklärbar sei, damit auch die Kausalität, und dass dies nicht zu Lasten des Klägers gehen könne. Das Gericht hat dann die Folgen abgewogen, wenn eine Kausalität der Exposition besteht, der
Kläger aber nicht entschädigt wird, gegen die Möglichkeit, dass keine
Kausalität besteht, der Kläger aber trotzdem seine Entschädigung bekommt.
Auch angesichts der ermittelten Umstände - Verstoß der Bundeswehr gegen
Schutzvorschriften - müsse man annehmen. dass eine Beweislastverteilung zum
Nachteil der Bundeswehr das "kleinere Übel" sei zwischen zwei potentiellen
materiellen Fehlentscheidungen (S. 29).
Mit Entscheidung vom 28.4.2011 (Aktenzeichen BVerwG 2 C 55.09) hat das Bundesverwaltungsgericht auf die Revision der Beklagten hin das Urteil aufgehoben und zur erneuten Entscheidung hin an das OVG zurückverwiesen. Die für den Sachverhalt relevanten Tatsachen seien noch nicht hinreichend festgestellt.
In seiner Entscheidung vom 13.9.2012 hat das OVG ziemlich deutlich gemacht, dass man hinreichende Versuche, den Sachverhalt aufzuklären, unternommen habe durch mehrere mündliche Verhandlungen und Sichtung von etlichen Kommissionsberichten.
Das Gericht beauftragte einen dritten Gutachter. Der erste Gutachter des Gerichts (für den es keine EHS gibt) überzeuge nicht (S. 32): Seine Auffassung beruhe allein auf der Beurteilung der fass- und messbaren internistischen Befunde. Der dritte Gutachter habe ausgeführt, dass es sich bei der EHS um ein diffuses Beschwerdebild handele, das von der evidenzbasierten Schulmedizin nur als tendenziell existente Krankheit eingestuft werde. Die verbleibenden Unwägbarkeiten blieben rechtlich unerheblich, da es sich bei der Erkrankung um eine sog. offene Berufskrankheit handele, die allein durch ihre Ursache definiert werde. Die Kausalität sei im vorliegenden Fall sogar nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin möglich. Die Beklagte wurde verpflichtet, den als "elektromagnetische Hypersensibilität" umschriebenen Symptomenkomplex als Dienstunfall des Klägers wegen Berufskrankheit aus ionisierender Strahlung anzuerkennen.
Die Revision wurde nicht zugelassen.
Die Beklagte legt Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein.
Diese wird vom Bundesverwaltungsgericht (Geschäftszeichen BVerwG 2 B 36.13) zurückgewiesen. Dem Berufungsurteil seien die tragenden Erwägungen des OVG für den von ihm als geführt angesehenen Indizienbeweis zu entnehmen. Das Urteil des OVG ist damit rechtskräftig.
Die insgesamt fünf Entscheidungen des Verwaltungs-, Oberverwaltungs- und Bundesverwaltungsgerichts zeigen das leidige Problem wieder auf: Wie geht man als Gericht damit um, wenn um die Existenz und Ursache einer Erkrankung ein medizinischer Meinungsstreit besteht? Die Gerichte haben sich die Sache nicht leicht gemacht. Über Jahre hinweg hat man die Auseinandersetzung mit den technischen Details des Falles nicht gescheut und versucht, aufzuklären, wie weit der Kläger exponiert war und was in krank gemacht haben könnte. Dazu mögen auch Erkenntnisse wie diese beigetragen haben: ...“Mit Schreiben vom...reichte der Kläger ein Gutachten der Universität...ein. Dieses Gutachten von Professor....wurde von der Beklagten in Auftrag gegeben. Bei dem eingereichten Gutachten handelt es sich noch nicht um die Endfassung. In diesem Gutachten untersuchte Professor....99 Krankenakten von Radartechnikern. 69 Mechaniker litten an Krebs, 22 starben daran mit durchschnittlich 40 Jahren...“.
Die Bundesrepublik Deutschland verteidigte ihren Standpunkt eher lustlos. Einer Stellungnahme von Prof. B., ehemals Bundesanstalt für Strahlenschutz, vermochte das Gericht wenig abzugewinnen....“Dieser hatte ...eine strahlenhygienische gutachtliche Stellungnahme über den ebenfalls in der Radarwerkstatt I-Stadt beschäftigten Arbeiter M. E. erstellt und kam zu der Bewertung, aufgrund der Aktenlage könne zwar der ursächliche Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung durch Hochfrequenzstrahlung und den diagnostizierten Gesundheitsstörungen nicht völlig ausgeschlossen werden, jedoch erscheine dieser Zusammenhang nur wenig wahrscheinlich. Selbst wenn es zu einer Grenzwertüberschreitung bis zu einem Faktor 5 gekommen sein sollte, werde im vorliegenden Fall ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Hochfrequenzeinwirkung und den ärztlich festgestellten Erkrankungen nicht gesehen. Die derzeitigen Grenzwerte enthielten einen Sicherheitsfaktor zur Schädigungsgrenze von etwa einer Größenordnung (Faktor 10), der wohl hinreichend weit unterschritten sei. Darüber hinaus gehöre der Erkrankte keiner Risikogruppe an, die in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung gefährdet sei....“(B. 9 des Urteils 3 LB 21/11)
Prof. Bernhardt ist ein alter Bekannter:. Von 1987 bis 1989 war er Vorsitzender des Ausschusses „nichtionisierende Strahlen“ der deutschen Strahlenschutzkommission (SSK), die ein unabhängiges Beratungsgremium des BMU sein soll. Von 1989 bis 1998 war er Abteilungsleiter im BfS für die Bereiche „Medizinische Strahlenhygiene und Nichtionisierende Strahlen“. Ferner war er Mitglied der ICNIRP, von 1996 bis 2000 sogar deren Vorsitzender, von 2000 bis 2004 stellvertretender Vorsitzender. Von 1999 bis Ende 2002 war er wiederum Vorsitzender des Ausschusses „nichtionisierende Strahlen“ der SSK. Zeitweise war er Mitglied im IEEE-Subkomitee SC-4, das sich mit der Normen-Koordination befasst. Das Beispiel zeigt deutlich, dass derartige Kommissionen und Behörden eigentlich nur noch exisrtieren, um voneinander Ergebnisse zu übernehmen.
Nun wäre dies vielleicht etwas weniger brisant, wäre Prof. Jürgen Bernhardt jemand, der Strahlenschutz als Schutz der Bevölkerung vor Strahlen versteht. Mehr am Herzen lag ihm jedoch offensichtlich die Wirtschaft. So erklärte er in einem Fernsehinterview auf 3Sat am 29.1.1997 zu den Grenzwerten: “Zweifelsfrei verstanden haben wir bei den hochfrequenten Feldern nur die thermische Wirkung, und nur auf dieser Basis können wir derzeit Grenzwerte festlegen. Es gibt darüber hinaus Hinweise auf krebsfördernde Wirkungen und Störungen an der Zellmembran“. Auf die Frage des Fernsehjournalisten, warum man die Grenzwerte ohne ausreichendes Wissen um die biologische Gefährlichkeit festlegt und warum man diese nicht beim geringsten Anzeichen einer Gefahr vorsorglich senkt, antwortete er: „Wenn man die Grenzwerte reduziert, dann macht man die Wirtschaft kaputt, dann wird der Standort Deutschland gefährdet.“ (Grasberger/Kotteder, Mobilfunk – Freiland Versuch am Menschen, S. 104).
Im vorliegenden Fall hat sich das Gericht nicht durch die Ansichten von SSK, ICNIRP usw, leiten lassen dass nur thermische Effekte von elektromagnetischen Wellen gesundheitsschädliche Effekte herbeiführen.
Die Entscheidung zeigt aber auch ein strukturelles Problem auf: zwischen der Klageerhebung und der Rechtskraft des Urteils sind fast 20 Jahre ins Land gegangen. So lange kann heute kein Elektrosensibler auf Schutzmaßnahmen warten, zumal sich die Situation täglich verschlechtert. Kliniken, die Elektrosensible als physiologisch Erkrankte behandeln, und entsprechende Entlassungsbericht ausstellen, gibt es kaum noch. Nach etlichen Jahren der Fehlinformation durch die Bundesregierungen gibt es nur wenige Ärzte, die wissen, wie man die Beschwerden objektiviert und die Kausalität mit der Exposition durch EMF belegt.
Die gute Nachricht: Der Kläger hat es geschafft!!!!!!