3.2. Untersuchung elektrosensibler Personen im Hinblick auf Begleitfaktoren bzw. –erkrankungen wie z. B- Allergien und erhöhte Belastung mit bzw. Empfindlichkeit gegenüber Schwermetallen und Chemikali
Ein wenig geeignetes Studiendesign, der Frage der EHS auf den Grund zu gehen, bietet die Studie der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz:
Im Abschlussbericht heißt es: „Ziel der Studie war es also, klinische Informationen über die Personen zu gewinnen, die sich selbst als Elektrosensible erleben. Mit anderen Worten, die Gruppe der Elektrosensiblen soll näher beschrieben werden. „Was sind das für Leute?“ war die eigentliche Frage. Die Studie kann keine Informationen darüber liefern, ob die erlebten Schädigungen tatsächlich durch elektromagnetische Felder zustande gekommen sind, auch wurde die Exposition der Personen nicht erfasst. Ebenso wenig kann eine Aussage darüber gemacht werden, ob Elektrosensibilität eine „echte“ Erkrankung ist oder nicht.“ (S. 6). Der Bericht liefert aber jede Menge Argumente für die Existenz der somatischen (nichtpsychischen) Elektrohypersensibilität, so dass wir Ihnen das eine oder andere nicht vorenthalten wollen.
Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Frage, wie die Elektrosensibilität einzuordnen ist, offen ist. Die Studie verweist hier auf mehrere Modelle, ausgeführt wird wörtlich:
„Dem biophysikalischen Modell liegt eine tatsächliche Beeinflussung körperlicher Funktionen durch EMF zugrunde. Die diesem Modell inhärente Prädiktion wäre, dass charakteristische Symptome und biologische Mechanismen identifizierbar sind.
Unterschiedliche psychiatrische Modelle sehen die Elektrosensibilität als Sonderfall einer oder verschiedener psychiatrischer Störungen. Die Symptome können in psychiatrischen Termini gefasst und dadurch „erklärt“ werden, wie zum Beispiel Wahnbildung, oder Abwehrmechanismen.
Das psychosomatische Erklärungsmodell geht davon aus, dass das Bewusstsein des Vorhandenseins von EMF bei den Betroffenen zu Symptomen führt.
Das verhaltenstheoretische Erklärungsmodell beruht auf der Annahme, dass eine ansonsten gesunde Person unangenehme Körperwahrnehmungen erlebt und parallel dazu eine wahre oder angenommene Exposition mit EMF besteht. Die Person nimmt die Exposition dann als Erklärung für die Körperphänomene an und gerät immer stärker in die Rolle des Kranken, der dann sämtliche Beschwerden über die „EMF-Theorie“ erklärt.
Schließlich sehen die Artefakttheorien die Erklärung darin, dass Faktoren, die die echte oder vermeintliche EMF-Exposition begleiten, bzw. methodische Probleme für die Wahrnehmung der Symptome als EMF-verursacht bei den Betroffenen verantwortlich sind. Ein Spezialfall einer Artefakttheorie wäre die Annahme, dass die Mehrzahl der Betroffenen körperlich erkrankt ist, aber die Symptome fälschlicherweise auf die EMF -Einwirkung attribuieren....“
Die Verfasser der Studie selbst lassen die Frage ausdrücklich offen. Sie beschäftigen sich mit der Belastung der Elektrosensiblen durch Schwermetalle, Allergien und mögliche Einschränkungen körperlicher Art beim Abbau von Umweltgiften im Körper. Soweit signifikante Unterschiede zwischen den Elektrosensiblen und einer Kontrollgruppe gefunden wurden, lässt sich in aller Regel daraus ihrer Ansicht nach keine Schlussfolgerung ableiten, ob diese im Zusammenhang mit der Elektrosensibilität stehen.
Sie beschreiben ferner eine auffällige starke und signifikante Häufung insbesondere der somatoformen autonomen Funktionsstörung in der Gruppe der Betroffenen.
Mit „somatisch“ ist eine körperliche Erkrankung (im Gegensatz zur psychischen) gemeint.
Der Begriff „somatoforme Störungen“ ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Störungen, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, dass Personen an körperlichen Symptomen leiden, für die keine bzw. keine adäquate körperliche Ursache gefunden werden kann. Somatoforme Störungen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Störungen, gleichwohl sind sie häufig besonders schwer zu diagnostizieren. Auch hängt die Diagnose im Einzelfall davon ab, ob der Untersucher, also in der Regel der Arzt, ein somatisches Erklärungsmodell eines Patienten akzeptiert, oder es als inadäquat verwirft. Bezogen auf die Elektrosensibilität bedeutet dies, dass ein Untersucher, der von der unmittelbaren Schadwirkung elektromagnetischer Felder persönlich überzeugt ist, zu einer anderen Diagnose kommen muss, als ein Untersucher, der diese Möglichkeit verwirft.....
Bei der somatoformen autonomen Funktionsstörung werden die Symptome so geschildert, als beruhten sie auf der körperlichen Krankheit eines Systems oder eines Organs, das weitgehend oder vollständig vegetativ innerviert und kontrolliert wird, so etwa des kardiovaskulären, der gastrointestinalen, des respiratorischen oder des urogenitalen Systems (S. 40, 41).
Dass sich bei den Elektrosensiblen häufig Symptome wie bei der somatoformen autonomen Funktionsstörung finden, ist eine Selbstverständlichkeit, wenn vorab mit geeigneten Mitteln geklärt wird, wie das zentrale Nervensystem des einzelnen auf elektromagnetische Felder reagiert oder nicht. Dass dies möglich ist, wird noch ausgeführt.
In der Studie wird aber darauf hingewiesen, dass dies nicht aus Elektrosensiblen automatisch psychisch Kranke macht, denn „ob aber die Belastung mit EMF eine ausreichende Begründung für die geschilderten Beschwerden darstellt, liegt im Ermessen des Diagnostikers, so dass, je nach Einschätzung, eine somatoforme Diagnose vergeben werden kann oder nicht.“ Es finden sich auch erhellende Ausführungen dazu, warum so vielen Elektrosensiblen eine Depression diagnostiziert wird, evtl. auch als „larvierte Depression“ (bei der sich die Depression in körperlichen Symptomen ausdrückt): „Eine weitere Besonderheit betrifft die Feststellung des depressiven Syndroms. Zur möglichst objektiven Feststellung werden unzulässiger Weise häufig Depressivitätsmessskalen verwendet, wie das Beck Depression Inventory oder die Hamilton Depression Skale. Diese Skalen eignen sich aber streng genommen nur zur Messung (des Grades) der Depressivität, wenn die Depression als solche bereits festgestellt ist und nicht zur Diagnosestellung, es sind ausdrücklich keine Diagnostikinstrumente. Erfasst werden nämlich nicht nur Kernmerkmal der Depressivität wie gedrückte Stimmung, sondern auch Schlafqualität, Appetit, sexuelle Appetenz, Aktivitätsniveau und körperliche Leistungsfähigkeit. Ein bestens gelaunter, aber schwacher, bettlägeriger Patient kann durchaus auf depressionstypische Werte kommen, ohne dass eine Depression vorläge. Die unkritische Verwendung von Depressionsmessskalen bei körperlich kranken Personen führt regelmäßig zur Überschätzung der Depressivität“. (S. 97).
Ein Elektrosensibler, der den entsprechenden Fragebogen wahrheitsgemäß ausfüllt, wird demnach einem schlampigen Diagnostiker Anlass geben, eine Depression festzustellen, Damit wird von den Autoren ein Phänomen beschrieben, dass etliche Elektrosensible bestens kennen: Was bei ihnen diagnostiziert wird, ist quasi willkürlich, wenn sie ihre Beschwerden im Zusammenhang mit EMF schildern. Häufig kommt dann eben als Ergebnis eine somatoforme Störung oder ein depressives Syndrom heraus, weil es ihnen natürlich auch psychisch nicht gut geht. Ebenso willkürlich ist, was ihnen als Therapie empfohlen wird – ob Umzug und Abschirmung, ob Psychotherapie welcher Art auch immer, ob Antidepressiva oder Psychopharmaka: eigentlich sagen Diagnose und „Therapie“vorschlag nur etwas über den Arzt und seine Meinung, nicht aber über den Elektrosensiblen aus.
In der Mainzer Studie heißt es dann auch „In mehreren, wenn auch kleinen Studien konnte belegt werden, dass die Symptome elektrosensibler Patienten sich bessern können, wenn eine Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie) durchgeführt wird (z. B. Hillert et al., 1998). Dies ist verschiedentlich als Hinweis darauf gewertet worden, dass die Symptome offensichtlich psychischer Natur seien. Ein solcher Schluss ist aber gänzlich unzulässig, da sich das subjektive Erleben von Symptomen und auch die persönliche Kompetenz im Umgang mit diesen durch eine Psychotherapie ändern lässt, unabhängig davon, ob eine somatische Grunderkrankung vorliegt oder nicht.“ Letztlich wird auch Krebspatienten inzwischen begleitend psychologische Hilfestellung gegeben, was natürlich dazu dient, die Erkrankung besser zu bewältigen. Dennoch kommt keiner auf die Idee, zu behaupten, dass dies darauf beruht, dass die Schmerzen beim Krebs nur psychischer Natur wären oder gar die Krebserkrankung an sich.
In der Studie wurden ferner körperliche Parameter untersucht, um objektive Daten zum Gesundheitszustand der Probanden zu erhalten:
- Blutchemisches Routinelabor inkl. Blutbild: Weder im Vergleich zur Kontrollstichprobe zeigen sich grobe Auffälligkeiten in der Gruppe der Elektrosensiblen
- Herzratenvariabilität als Indikator der autonomen Regulation. Kein Unterschied zwischen den Elektrosensiblen und der Kontrollgruppe; ausgelassen wurde aber, die HRV von Elektrosensiblen mit und ohne Exposition zu messen; dazu später mehr
- die genetische messbare Leberentgiftungskapazität (22 Untersuchungen an 12 Genen, die die Entgiftungskapazität der Leber charakterisieren): Hier evtl. Hinweis darauf, dass bei Elektrosensiblen häufiger als bei der Kontrollgruppe eine verminderte Kapazität der Phase II Entgiftung auftritt (S. 100 des Abschlussberichts)
- die Bestimmung des HLA-Status (HL=human leukocyte antigens) signifikanter Unterschied bei einem HLA-DRB1, dessen Allele mit verschiedenen Autoimmunerkrankungen assoziiert sind
- ein 74 Allergene umfassender Allergen-Chip, bei dem an einer Blutprobe parallel die Reaktionsfähigkeit auf häufige Allergene getestet werden kann: kein signifikanter Unterschied zwischen Kontrollgruppe und elektrosensiblen Personen
- Röntgenfluoreszenz-spektroskopische Bestimmung von Cadmium, Blei, Quecksilber, Chrom und Kupfer im Blut. Kein Unterschied für ES und Kontrollgruppe bei Quecksilber, Chrom und Blei; Cadmium bei den ES niedriger, wohl weil weniger Raucher dabei waren als in der Kontrollgruppe; Kupfer erhöht, evtl. weil mehr Biolebensmittel verzehrt werden
In der Zusammenfassung des BfS fehlt die Auseinandersetzung der Studienautoren mit der medizinischen Vorgehensweise, die Elektrosensibilität zur psychischen Krankheit zu machen. Statt wie die Autoren der Studie die Frage offen zu lassen, ob die Beschwerden durch EMF herbeigeführt werden, wird vorgegeben, dies sei nicht der Fall: „Es zeigte sich aber, dass signifikant deutlich mehr Elektrosensible als Kontrollpersonen an somatoformen Störungen leiden, d. h. dass für die von ihnen beschriebenen Symptome keine bzw. keine adäquate körperliche Ursache gefunden werden kann“. Dass keine adäquate körperliche Ursache gefunden werden könne, gibt die Studie gerade nicht her. Insofern ist auch die Behauptung, dass man in der Mainzer Studie herausgefunden habe, dass signifikant mehr Elektrosensible als Kontrollpersonen an somatoformen Störungen leiden, falsch. Die Schlussbehauptung des BfS, dass kein ursächlicher Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern besteht, wird durch die zitierte Studie nicht gestützt.
Letztendlich zeigt die Studie eher auf, wie schlampig z. T. argumentiert wird, wenn EHS zur „psychischen“ Erkrankung gemacht wird.