5. Rätselhafte Wetterfühligkeit
Es begann, als ich ungefähr Mitte 30 war. Ich fühlte mich immer öfter ohne ersichtlichen Grund angespannt, schlief schlecht, wurde sehr geräuschempfindlich und war immer wieder sehr gereizt. Dann hatte ich wieder Phasen, in denen ich sehr gut schlief, und in denen mich nichts aus der Ruhe bringen konnte. Die „schlechten“ Phasen wurden immer länger, die „guten“ kürzer. Verschärft wurden die Beschwerden, als ich Ende 2003 eine Eigentumswohnung kaufte. Ich glaubte, alles getan zu haben, um eine Wohnung mit gutem Lärmschutz zu kaufen. Leider stellte sich das Gegenteil heraus. Unter mir zog ein Mieter ein, für den Rücksichtnahme ein Fremdwort war. Ich habe jahrelang unter dem Lärm gelitten, und meine zunehmenden Beschwerden darauf zurückgeführt. Mir ging es immer schlechter. Früher habe ich schon phasenweise viel gearbeitet, mich dann aber immer wieder gut erholt. Nun fühlte ich mich auch in der Freizeit und bei Beschäftigungen, bei denen ich mich früher gut erholt habe, angespannt, z. T. wie elektrisch aufgeladen. Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass die guten Phasen die mit stabilen Hochdrucklagen oder Nordwind waren, die schlechten die mit Westströmungen. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, denn früher hatte mich das Wetter nicht sonderlich interessiert.
Als der laute Mieter unter mir endlich die Wohnung räumte, und eine ruhige Person einzog, dachte ich, das die Beschwerden jetzt aufhören müssten, was leider nicht der Fall war. Ich ging dann zu Ärzten, hatte das Gefühl abgefertigt zu werden mit Pauschalratschlägen wie Sport treiben (hatte ich immer getan), nicht so perfektionistisch zu sein, etc. Einer erklärte mir, es handele sich um eine leichte Depression und verschrieb mir ein Antidepressivum, das die Beschwerden in einem Ausmaß verschlimmerte, dass ich schon die „einschleichende“ Dosierung sofort wieder absetzte. Eine Schlaflaboruntersuchung blieb ohne Diagnose, die mir weitergeholfen hätte. Mir ging es schlechter und schlechter.
Mitte 2007 kam ein regelrechter Einbruch. Ich konnte überhaupt nicht mehr schlafen, wochenlang. Mir graute es regelrecht vor dem ins Bett gehen. Ich fühlte mich völlig hilflos. Eine alte Schulfreundin brachte in einem Telefonat, in dem ich den Zustand schilderte, erstmals Schnurlostelefone, W-LAN etc. zur Sprache. W-LAN und Schnurlostelefon hatte ich schon vorher nicht. Auch Sendemasten sind von meiner Wohnung aus nicht zu sehen. Nachdem ich Messungen im Schlafzimmer durchführen lies, konnte ich die Strahlung durch Abschirmung von zwei Wänden auf ca. 1 Mikrowatt reduzieren, so dass ich ein bisschen besser schlief. Toll war es trotzdem nicht. Zu den Beschwerden kamen ständig gereizte, gerötete juckende Augen, ohne dass der Augenarzt eine Entzündung feststellen konnte, sowie ein rätselhaftes Brennen unter der Haut.
Ende 2008 bin ich dann nach einer Phase totaler Erschöpfung in einer psychosomatischen Klinik gelandet, wo ich das erste Mal seit Jahren wieder richtig erholsam schlief. Nach Rückkehr wurden die Beschwerden besser, wenn ich mich in der freien Natur aufhielt, schlechter, wenn ich die Dinge tat, die ich früher gerne gemacht hatte, nämlich in Museen und Ausstellungen, ins Theater und ins Kino gehen, mich mit Freunden treffen etc. Als es mir einen Tag wieder richtig prima ging, musste ich beim Durchdenken des Tages feststellen, dass ich mich mehrere Stunden in einem mobilfunkfreien Gebiet aufgehalten hatte. Erst zu diesem Zeitpunkt habe ich wirklich begriffen, dass „elektrosensibel“ das Wort ist, das Leute wie mich bezeichnet. Ein Arzt, der sich mit Mobilfunk befasst, konnte mir dann erklären, was es mit der rätselhaften Wetterfühligkeit auf sich hatte: Verschiedene Funkfrequenzen bilden mit der natürlichen Strahlung Interferenzen, und mein Körper konnte bei Hochdruckwetter den Elektrosmog gerade noch kompensieren, bei den hier herrschenden Tiefdrucklagen aber nicht. Ich konnte dann feststellen, dass es in dem Teil der psychosomatischen Klinik, wo ich gewesen war, weder DECT-Telefone noch W-LAN und nur sehr schlechten Mobilfunkempfang gab. Kurze Zeit später ergab sich die Möglichkeit, für eine Woche ein Haus in einem abgelegenen Bergtal zu bewohnen, wo es kein Handynetz gibt. Alle Beschwerden verschwanden innerhalb einiger Stunden.
Seitdem bin ich auf der Flucht vor den Strahlen. Meine Arbeit kann ich nicht mehr machen, obwohl ich meinen Traumberuf ausgeübt habe. Freizeitaktivitäten sind stark eingeschränkt. Inzwischen reagiere ich auch auf niederfrequente Felder. Derzeit überlege ich, mir einen Wohnwagen anzuschaffen, um im Wald zu schlafen, nachdem es auch auf dem Land kaum funkfreie Wohnungen gibt. Meine Wohnung ist hauptsächlich belastet mit digitalem Radio und gepulstem Bahnfunk.